Die Tochter des Fotografen by Edwards Kim

Die Tochter des Fotografen by Edwards Kim

Autor:Edwards, Kim [Edwards, Kim]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2013-10-28T16:00:00+00:00


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Auch sein Vater hatte Geheimnisse – in einem Leben, das sich in der Praxis oder in der Dunkelkammer abspielte. Paul fand das normal, so war es nun mal in einer Familie. Bis er anfing, mit Duke herumzuzuhängen, einem begnadeten Klavierspieler, den er eines Nachmittags im Probenraum getroffen hatte.

Die Madisons hatten kaum Geld, die Gleise lagen gleich nebenan, das ganze Haus wackelte, und die Fenster zitterten, immer wenn ein Zug vorbeirauschte. Dukes Mutter war noch nie in ihrem Leben geflogen. Paul wußte, daß sie einem leid tun mußte; seine Eltern bemitleideten sie bestimmt auch. Sie hatte fünf Kinder und einen Mann, der im Gartencenter arbeitete und nie das große Geld verdienen würde. Aber Dukes Vater spielte gern Fußball mit seinen Jungs, er kam jeden Abend nach der Schicht um sechs Uhr nach Hause, und auch wenn er nicht mehr sprach als Pauls Vater, war er doch immer da, und wenn nicht, dann wußten sie immer, wo sie ihn finden konnten.

»Also, was hast du vor?« fragte Duke.

»Keine Ahnung«, sagte Paul. »Und du?«

Die Schienen summten noch immer. Paul fragte sich, wo der Zug wieder halten würde. Und er fragte sich, ob ihn irgend jemand gesehen hatte, wie er am Rande der Gleise stand, so nah, daß er einen der Waggons hätte berühren können, während der Fahrtwind seine Haare verriß und in seinen Augen brannte. Was hätte derjenige gedacht? Bilder, die im Fenster des Abteils vorbeizogen wie ein Fotofilm, eines nach dem anderen, hier ein Baum, da ein Felsen, da eine Wolke, nie dasselbe Bild. Und dann plötzlich ein Junge – er selbst –, der lachend seinen Kopf nach hinten wirft. Dann ist er wieder weg. Ein Strauch, Stromleitungen, die unscharfe Linie der Straße.

»Wir könnten Reifen schießen.«

»Keinen Bock.«

Sie gingen weiter auf den Gleisen entlang. Kurz hinter dem Rosemont Garden waren sie von hochgewachsenem Gras umgeben. Duke blieb stehen und kramte in den Taschen seiner Lederjacke. Er hatte grüne Augen mit blauen Sprenkeln. Genau wie die Erde, dachte Paul. Wie die Erde, vom Mond aus betrachtet.

»Guck mal«, sagte Duke. »Das hat mir letzte Woche mein Cousin Danny gegeben.« Er hielt ein kleines Tütchen in der Hand, gefüllt mit getrocknetem Grünzeug.

»Was ist das?« fragte Paul. »Ein paar Grashalme?« Doch noch während er sprach, begriff er und errötete; was war er doch für ein zurückgebliebener Trottel.

Duke lachte, sein Lachen schallte durch die Stille, er raschelte mit dem Tütchen.

»Ganz richtig, mein Junge. Gras. Hast du schon mal was geraucht?«

Paul schüttelte ängstlich und verschämt den Kopf.

»Du wirst nicht abhängig davon – wenn’s das ist, wovor du Schiß hast. Ich hab’s schon zweimal gemacht, es ist absolut gigantisch, kannst du mir glauben.«

Der Himmel war noch immer grau, und der Wind spielte mit den Blättern der Bäume. In der Ferne hörte man das Pfeifen des nächsten Zugs.

»Ich hab keinen Schiß«, sagte Paul.

»Wovor auch«, entgegnete Duke. »Kostprobe gefällig?«

»Klar.« Er sah sich um. »Aber nicht hier.«

Duke lachte. »Meinst du, hier sieht uns irgend jemand?«

»Hörst du das?« fragte Paul. Duke nickte, und dann sahen sie den Zug, der aus der entgegengesetzten Richtung langsam näher kam und immer größer wurde.



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